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Das Losbrechmoment der KW


Fangen wir das Thema mal mit etwas Geschichtsunterricht an.

Zunächst wurde der Rotax 912 als 80 PS Motor konstruiert und gebaut.
Das hat auch gut funktioniert und es gab wenig Probleme. Selbst als die ersten 914er Turbo's gebaut wurden, was ja nur ein aufgeblasener 80 PS-Motor ist, blieb das so.
Nun kamen die 912 S / ULS mit 100 PS.
Dazu wurde der Hubraum und die Verdichtung erhöht und die Steuerzeiten verschärft.

Grundlagen

Man kann sich vorstellen, dass, je nach Betriebsbedingungen, die über die Zylinderwand in das Kurbelgehäuse eingeleiteten Kolbenseitenkräfte, stark zugenommen haben.

Zur Verdeutlichung ist die Kräfteverteilung hier beschrieben und in dem Bild als die Kraft Fn bezeichnet.

Die erhöhten Kolbenseitenkräfte sorgten für eine Bewegung im Motorgehäuse an deren Trennfläche1) und in der Folge für Verschleiß im Bereich der Kurbelwellenhauptlager. Das folgt noch ausführlicher.

Zur Vermeidung hatte Rotax dazu einen Service Letter zur Einstellung der Leistung veröffentlicht.
Hier war in der SL-912-016 / SL-914-014 von 2009 zu lesen:

Leistungsempfehlungen

Fakt ist, dass die Kolbenseitenkräfte bei höherer Drehzahl, durch die Abnahme des Verbrennungsdruckes im kritischen Bereich, geringer ist, was folglich zu einer geringeren Krafteinleitung in das Kurbelgehäuse führt. Das hängt u.A.2) mit der Brenngeschwindigkeit des entzündeten Kraftstoff-Luftgemisches zusammen.
Dazu habe ich hier ein recht anschauliches Video gefunden.

Der Schaden

Nun trat bei den Kurbelgehäusen folgender Schaden auf:
Im Bereich der Hauptlager verschoben sich die beiden Kurbelgehäusehälften durch die eingeleiteten Kräfte zueinander permanent im Nanometer-Bereich. Die dadurch verursachte Reibung führte dort zu einem Verschleiß und zum Abrieb an den Trennflächen, was wiederum zur Veringerung des Lagerspiels der Hauptlager führte.
Beim weiteren Fortschreiten des Verschleißes verringerte sich das Lagerspiel soweit, bis keines mehr vorhanden war.
Die Folge war, dass sich die Kurbelwelle immer schwerer drehen ließ.

Irgendwann, wenn der Prozess immer weiter voranschritt, hat dann der Anlasser die Kurbelwelle nicht mehr drehen können, weil das Losbrechmoment höher war, als die zum Drehen gelieferte Kraft des Starters.

Viele Piloten / Wartungspersonal hatten das zu Anfang nicht bemerkt, zumal früher dazu nichts in den Wartungshandbüchern stand. Erst später wurde in den Wartungsanleitungen ein Kontrollpunkt hinzugefügt.

Verdacht

… doch was heisst nun „bei Verdacht auf SCHWERGÄNGIGKEIT“ ?

Wenn man am Propeller dreht, zeigt sich folgendes Verhalten:
zunächst zeigt sich das Losbrechmoment durch erhöhten Widerstand, wenn man den Propeller drehen möchte. Dreht er sich, spüren wir einen geringeren und gleichmäßigen Kraftaufwand. Stoppt man nun die Drehbewegung, bemerkt man ein ruckhaftes stoppen des Propellers. Das veranschaulicht in etwa die folgende Kurve.


Handlungsbedarf

Dazu findet man im Line Mantenance Handbuch folgende Anweisung:

  • Die Kontrolle der Leichtgängigkeit des Motors sollte bei einer Temperatur von 0 °C bis 60 °C durchgeführt werden.
  • Drehmoment muss mit geeigneter Vorrichtung ermittelt werden.
    Dazu ist das maximale an der Propellerwelle aufgetretene Drehmoment zu ermitteln, das notwendig ist, um den gesamten Kurbeltrieb zu bewegen.
    Das Drehmoment darf maximal 150 Nm betragen.

Bei Überschreitung des Drehmomentes sind folgende Inspektionen durchzuführen:

  • Detaillierte Inspektion der betroffenen Getriebekomponenten
  • Detaillierte Inspektion des Kurbeltriebes durchführen

150 Nm

… das ist mal 'ne Hausnummer…
Das bedeutet, wenn wir die Getriebeübersetzung bei 912 S/ULS von 2,43:1 berücksichtigen, ein Losbrechmoment von 61,73 Nm an der Kurbelwelle.

Wenn man nun einen Motor zerlegt und vorher ein Losbrechmoment an der Kurbelwelle von über 15Nm festgestellt hat, sieht man im Bereich der Hauptlager an den Gehäusetrennflächen die typischen rauhen, grau verfärbten Bereiche.

Messungen des noch vorhandenen Kurbelwellenlagerspiels würden ein Spiel von 0 (NULL) oder weniger ergeben.
Ist auch logisch, denn sonst hätten wir kein erhöhtes Losbrechmoment der Kurbelwelle.

Konsequenz

…. und die Moral von der Geschicht:
überlaste den Motor nicht.

Das3) zu bewerkstelligen ist aber kein Problem. Man fliegt fleißig mit WOT bei gedrosselter Drehzahl und schon ist ein neues Motorgehäuse nicht in weiter Ferne…

die Neuen

Mittlerweile sind die Kurbelgehäuseverschraubungen mehrfach modifiziert worden, sodass die Flächenpressung in der Trennfuge deutlich erhöht werden konnte und das Problem im Prinzip behoben wurde.
Es soll aber Benutzer geben, die trotzdem ein Gehäuse auf diese Weise begraben haben….

1)
das Kurbelgehäuse ist vertikal geteilt
2)
unter Anderem
3)
den Motor zu überlasten
losbrechmoment-kw.txt · Zuletzt geändert: 28.11. 2023 08:48 von ralf

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